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Berührungspunkte: Von Gewalt betroffene junge Frauen* (Projektkonzept)

Hintergrund

Bis zu einem Alter von 16 Jahren haben rund drei Viertel der Mädchen* und jungen Frauen* [Fußnote 1] in Österreich direkte psychische und/oder körperliche Gewalterfahrungen im sozialen Nahraum gemacht. Während diese beiden Formen kaum geschlechtsspezifische Unterschiede aufweisen, sind junge Frauen* sexualisierter Gewalt mehr als doppelt so oft ausgesetzt wie junge Männer* [Fußnote 2]jedes 3. bis 4. Mädchen* ist betroffen [Fußnote 3].

Obwohl die Folgen von Gewalterfahrungen auf Gefühls-, Verhaltens- sowie Körperebene nachhaltig und langwierig sind und sich oft erst viel später manifestieren, fehlt es an kinder- und jugendspezifischen Angeboten [Fußnote 4]. Genau hier setzt Berührungspunkte an.

Projektidee

Das Projekt greift die besondere Anziehungskraft [Fußnote 5], die Pferde auf Mädchen* und junge Frauen* ausüben, auf und unterstützt durch entsprechende Förderung mit dem Tier ganzheitlich – auf emotionaler, sozialer, körperlicher und kognitiver Ebene – im Umgang mit den Folgen gemachter Gewalterfah­rungen.

Die traumatischen Erlebnisse führen bei Mädchen* oft dazu, dass sich ihre unterdrückte Wut und der erfahrene Schmerz gegen sich selbst richten [Fußnote 6]. Auswirkungen, die sich häufiger bei jungen Frauen* beobachten lassen, sind [Fußnote 7]:

  • Unsicherheit
  • Rückzug
  • selbstschädigendes und/oder selbstverletzendes Verhalten
  • Essstörungen
  • Angst
  • Kontaktvermeidung

Berührungspunkte setzt an den Stärken und Ressourcen der Teilnehmer*innen an und berücksichtigt dadurch ihre individuellen und konstruktiven Gestaltungskompetenzen [Fußnote 8], wodurch eine Voraussetzung für die Aufarbeitung der erlebten Gewalt geschaffen wird [Fußnote 9].

Projektziele

Daraus ergeben sich folgende Projektziele:

  • Steigerung des Selbstvertrauens
  • Stabilisierung des Selbstwertes
  • Erproben von Interaktionsmöglichkeiten
  • Erhöhung der Beziehungsfähigkeit
  • Erproben von Bewegungsmöglichkeiten
  • Erleben von Körperkontakt, ohne Grenzüberschreitungen befürchten zu müssen

Zielgruppe

Das Projekt richtet sich an Mädchen* und junge Frauen_ im Alter zwischen 12 und 17 Jahren die direkte Gewalt im sozialen Nahraum erlebt haben [Fußnote 10]. Berührungspunkte möchte dabei vor allem auch Kindern und Jugendlichen mit Migrationsgeschichte, aus sozio-ökonomisch schwächeren Familien, mit Mobilitätsbeeinträchtigung und/oder Lernschwierigkeiten den Zugang zu dieser einzigartigen Förderung ermöglichen. Durch Kooperationen mit verschiedenen etablierten Einrichtungen, die Beratung zum Thema Gewalt anbieten, wird die Erreichbarkeit der Zielgruppe gesichert.

Warum eine Förderung mit dem Pferd?

Gründe, die für den Einsatz des Pferdes als Partner*in in der Arbeit mit von Gewalt betroffenen Mädchen* und jungen Frauen* sprechen, sind:

  • keine Konsequenz, die auf eine bestehende Auffälligkeit zurückzuführen ist (Pferdesport)
  • hohe Anziehungs- und Motivationskraft (Einstieg, Durchhaltevermögen)
  • unvoreingenommene Akzeptanz (Beurteilungsfreiheit) [Fußnote 11]
  • Erleben und Einfluss nehmen auf Macht bzw. Ohnmacht (Handlungsmacht) [Fußnote 12]
  • Verbesserung des Bezugs zum eigenen Körper (Körperarbeit) [Fußnote 13]

Für die Zielgruppe des Projekts relevante Handlungsweisen im Rahmen der Förderung mit dem Pferd:

  • gemeinsame Absprache über die Gestaltung der Einheiten [Fußnote 14]
  • Einbindung der Teilnehmer*innen in die Vorbereitung und Umsetzung der Einheiten
  • Themen der Mädchen* und jungen Frauen* aufgreifen [Fußnote 15]
  • Prinzip des „Stop“-sagen-Könnens [Fußnote 16]
  • Verständnis von Angst als Schutz und als Voraussetzung für einen Entwicklungsschritt [Fußnote 17]
  • Verlässlichkeit in der Beziehung zu den Teilnehmer*innen anstreben [Fußnote 18]

Umsetzung

Im Hinblick auf ein kontinuierliches und stabiles Beziehungs­angebot sowie die Nachhaltigkeit des Projekts, aber auch um eine gewisse Flexibilität zu ermöglichen, ist die Umsetzung über mehrere Monate geplant. Angedacht sind dabei mindestens einmal wöchentliche Einheiten für 5 Mädchen* und junge Frauen* im Einzelsetting zu je 30 Minuten (insgesamt 20 Einheiten pro Person). Die Durchführung orientiert sich an den Grundsätzen feministischer Mädchen*arbeit.

Berührungspunkte soll im Reit- und Therapiezentrum Donaustadt (Eßlinger Hauptstraße 192, 1220 Wien) umgesetzt werden. Die Wahl des Veranstaltungsortes entschied sich aufgrund folgender Aspekte:

  • verlässliche, gut ausgebildete und ausgeglichene Therapiepferde
  • ein barrierefrei zugängliches Gelände und eine elektronische Rampe als Aufstiegshilfe
  • die gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel
  • die Möglichkeit bei Schlechtwetter die Reithalle zu nutzen
  • ein weitläufiges Gelände, das kleine Ausritte ermöglicht

Fußnoten

[1] vgl. Hölscher-Regener 2016:279

[2] vgl. ebd. 2016:269ff

[3] vgl. ebd. 2016:268

[4] vgl. ebd. 2016:269

[5] vgl. ebd. 2016:272

[6] vgl. ebd. 2016:275

[7] vgl. ebd. 2016:276

[8] vgl. ebd. 2016:279

[9] Nur eines von 10 der betroffenen Kinder schafft es, sich jemandem Anzuvertrauen und sich Hilfe zu holen. Darum soll die Teilnahme am Projekt auch jenen Mädchen* ermöglicht werden, bei denen ein Verdacht auf Gewalterfahrung besteht (vgl. Bundesverband Österreichischer Kinderschutzzentren 2018); vgl. Kinder- und Jugendanwaltschaft Salzburg 2018

[10] vgl. Schleehauf 2010:21ff

[11] vgl. BMFJ 2016:12

[12] vgl. Schadowski 2017; Ostbomk-Fischer 2008:11

[13] vgl. Schleehauf 2010:29; Hölscher-Regener 2015:268

[14] Die professionelle Aufarbeitung der Gewalterfahrungen selbst ist kein Ziel des Projekts.

[15] Mit Mädchen* und Frauen* sind all jene gemeint, die sich dieser Gruppe zugehörig fühlen.

[16] Die altersspezifische Betrachtung der Studie zeigt, dass Frauen* zwischen 51 und 60 Jahren in ihrer Kindheit und Jugend signifikant häufiger körperliche (51 bis 60 Jahre: 80,8%, 16 bis 20 Jahre: rund 55%) und sexualisierte (51 bis 60 Jahre: 40,8%, 16 bis 20 Jahre: 19,6%) Gewalt erlebt haben als jene zwischen 16 und 20 Jahren (vgl. ÖIF 2011:10). Für Österreich gibt es derzeit keine aktuellere Studie.

[17] vgl. Verein Schmetterlinge 2018

[18] vgl. Bundesverband Österreichischer Kinderschutzzentren 2018; Verein Schmetterlinge 2018

Literatur und Quellen

Die Literatur- und Quellenangaben finden sich in der PDF-Datei.